Rund einhundert Menschen waren beim ersten Augenhöhe Camp am 2.7.2015 in Hamburg. Gestandene Personaler, Scrum Master, Berater, Unternehmer, Auszubildende und Führungskräfte, aus kleinen, mittleren und großen Betrieben ebenso wie Freiberufler – es war genau diese bunte Mischung, die einen spannenden und anregenden Austausch über die neue Arbeitswelt versprach. Die Themen reichten von „Recruiting mit AH-Moment“ über „Ausbildung als Säule der Organisationsentwicklung (bei dm – drogeriemärkte)“ bis hin zu „Selbstorganisation und Führung“.
Flexibilisierung von Arbeitszeit und -ort
Da ich mich selbst gerade mit den Sonnen- und Schattenseiten der Flexibilisierung von Arbeitszeit und -ort beschäftige, habe ich in einer Session das Thema zur Diskussion angeboten. Und ich war begeistert von den vielen Anregungen und Erkenntnissen, die ich daraus mitnehmen konnte – hier eine Zusammenfassung:
Ergebnisorientierung vs. Aufwandorientierung
In deutschen Unternehmen ebenso wie bei den Beschäftigten ist das Denken in Arbeitszeit und Aufwand immer noch fest verankert. Lange Arbeitszeiten und viele Überstunden gelten sowohl als Merkmal für Einsatz und Leistung als auch als Statusfaktor.
Ergebnisorientierung statt Orientierung am Aufwand verunsichert die meisten noch, zumal in den meisten Organisationen zu wenig Klarheit und Kommunikation über die konkret gewünschten Ergebnisse besteht. Hier ist es wichtig, immer wieder Dialoge in den Unternehmen selbst wie auch den übergreifenden Austausch anzuregen.
Präsenzkultur schafft Produktivität – ein klassischer Irrtum
Die klassische Präsenzkultur ist auch bei sog. Wissensarbeitern nach wie vor das vorherrschende Modell und, wie es scheint, untrennbar mit der typisch deutschen Idee von Fleiß und Zuverlässigkeit verknüpft. Diese nur scheinbar kausale Verknüpfung in den Köpfen gilt es zu lösen. Die bloße Anwesenheit im Büro erzeugt noch lange keinen produktiven Arbeitsprozess – und wer von Zuhause oder anderen Orten aus arbeitet, ist keinesfalls ein „Drückeberger“ oder „Minderleister“.
Ganz im Gegenteil: Es gibt immer Aufgaben und Arbeitsphasen, bei denen eine Fachkraft außerhalb des Büros mit seinen typischen Störfaktoren deutlich konzentrierter, schneller und produktiver arbeiten kann. Konkrete Beispiele, am besten aus dem eigenen oder ähnlichen Unternehmen, sollten daher gern in der organisationsinternen Kommunikation vorgestellt werden. Und Führungskräfte, die selbst flexible Arbeitsmodelle nutzen bzw. in ihrem Bereich fördern und darüber aktiv berichten, können als Vorbilder und Impulsgeber wirken.
„Wichtig“ und „weniger wichtig“ unterscheiden können
In unseren Köpfen haben sich noch weitere Überzeugungen als vermeintlich selbstverständlich und richtig festgesetzt. Zum Beispiel die Angewohnheit, dass ein einmal für eine Aufgabe, ein Projekt, ein Meeting angesetzter Zeitrahmen auch ausgeschöpft werden muss. Die meisten haben auch hier die Aufgabe („Was mache ich?“) im Fokus und weniger das Ergebnis („Wozu mache ich das? Worin liegt der Mehrwert? Was ist der Beitrag zu einem übergeordneten Ziel?“).
Wenn eine Aufgabe oder eine Besprechung schneller erledigt wird, als dafür im Zeitrahmen vorgesehen war, dann werden die letzten Tätigkeiten und Gespräche lieber noch so lange gezogen, bis der Zeitrahmen schließlich ausgeschöpft ist. Der Grund dafür liegt, wie schon oben erwähnt, im jeweiligen Verständnis von Leistung und Status und auch in der Befürchtung, beim nächsten Mal von vorn herein einen ggf. zu eng gesteckten Zeitrahmen zu bekommen, also mehr Druck und Stress zu erleben und womöglich zu versagen.
Darüber hinaus schwingt vielfach ein gewisser Perfektionsanspruch mit, der einer Schwerpunktsetzung per Pareto-Prinzip entgegen steht. Die Menschen können oft nicht zwischen „wichtig“ und „weniger wichtig“ unterscheiden. Hierzu ist nicht nur kritische Selbstreflexion bei den Einzelnen erforderlich, sondern vor allem auch mehr Transparenz und Kommunikation über Ziele und Ressourcen im Unternehmen sowie die Stärkung von Eigenverantwortung und unternehmerischem Denken bei den Beschäftigten.
Selbstorganisation heißt auch, sich selbst mal frei zu geben
Darüber hinaus fällt es vielen Fachkräften zunächst schwer, sich in flexiblen Arbeitsformen selbst zu organisieren. Einerseits muss man sich zur Arbeit motivieren, andererseits – und das fällt den meisten sehr viel schwerer – sich auch mal frei geben.
Nachdem wir alle über Schule und Arbeitswelt an feste Zeitvorgaben gewöhnt sind, meldet sich bei vielen das schlechte Gewissen, wenn sie ihre flexible Arbeitsmöglichkeit z.B. dazu nutzen, einen heißen Nachmittag im Freibad zu verbringen, auch wenn sie dann abends noch einige Stunden am Computer zu sitzen. Das führt dazu, dass manche der in flexiblen Arbeitsmodellen Beschäftigten weit mehr arbeiten als vorgesehen, oft sogar ohne evtl. Mehrarbeit oder Überstunden geltend zu machen. Das schlechte Gewissen und das Gefühl, über das Maß hinaus arbeiten zu müssen, basiert letztlich auf einem Mangel an Vertrauen. Der Beschäftigte hat Sorge, dass ihm der Arbeitgeber bzw. die Kollegen Schummelei oder Faulenzerei vorwerfen könnten. Es gilt also, eine entsprechende Vertrauenskultur und Akzeptanz gegenüber unterschiedlichen Arbeitsformen im Unternehmen zu etablieren.
Vielen Dank allen Teilnehmenden dieser Session!